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Peter sieht im Schnee eine komische Spur

aus Tatzen und Hufen - wohin führt die nur?

Er folgt ihr gebannt bis hinüber zum Wald,

doch jetzt wird es dunkel und außerdem kalt.

 

Zuhause beim Abendbrot erzählt er der Mutter:

„Ich hab was gesehen!“ und er malt auf die Butter

mit dem Messer diese Spur aus Tatzen und Hufen.

„Mit welchem Namen muss man so ein Tier rufen?“

 

„Ich kenne kein Tier mit Hufen und Pfoten,

aber Malen auf Butter, das ist verboten!

Deine Phantasie ist groß und du bist noch klein,

was du gesehen hast, muss wohl ein Irrtum sein.“

 

Im Frühling jagt Peter eine schnelle Libelle

und findet sich plötzlich genau an der Stelle

wo im Winter die komischen Spuren im Schnee

in den Wald hinein führten, oder war‘s nur ein Reh?

 

Das Insekt fliegt rein in den dunklen Wald,

Peter zögert kurz - und kennt doch kein Halt.

Auf der Suche nach den schimmernden Flügeln

erscheint ein Geweih hinter moosigen Hügeln.

 

Er schleicht sich heran, will das Tier nicht verschrecken

und als er ganz nah ist, tritt er auf ein‘n Stecken,

verscheucht das Wesen mit dem schönen Geweih

- an der Stelle im Gras liegt ein goldenes Ei!

 

Zuhause beim Abendbrot erzählt er den Alten

vom Erlebnis im Wald und er sieht schon die Falten

auf der Stirn seiner Eltern als er ihnen berichtet.

Sie meinen, er hätte was hinzugedichtet:

 

„Ein Hirsch? Der goldene Eier legt? Wie nett!

Aber jetzt ist es spät, geh mal lieber ins Bett.

Deine Phantasie ist groß und du bist noch klein,

was du gesehen hast, muss wohl ein Irrtum sein.“

 

Im Sommer sitzt Peter mit der Angel am Teich,

einen Fisch will er fangen, jetzt oder gleich,

die Sonne scheint warm, ein leichter Wind weht,

da ist ihm, als ob sich im Wasser was regt.

 

Ein Schatten taucht da tief unten im See

bis ans andere Ufer und plötzlich, oje,

steigt aus dem Wasser etwas Großes und dann

fängt es wie ein Wolf zu heulen an!

 

Im Schilf tief versteckt reibt sich Peter die Augen,

kann er das, was er sieht, selber noch glauben?

„Träum ich oder wach ich oder trügen die Sinne?

Jetzt fliegt es davon! Ich glaube, ich spinne!“

 

Zuhause beim Abendbrot - bleibt Peter stumm

und rührt voll Gedanken im Tee herum.

Meine Phantasie ist groß! Und ich bin klein …

Was ich gesehen hab muss wohl ein Irrtum sein.

 

Im Herbst dieses Jahr ist es kalt und es schneit,

Peter und Mutter geh’n spazieren - zu zweit.

Da sehn‘ sie wieder diese komische Spur,

aus Tatzen und Hufen, wie Perlen auf Schnur.

 

Sie folgen mit Spannung dem fremden Tritt

über Wiesen und Hügel in leisem Schritt,

von Sonne und Schnee so grell geblendet

als plötzlich die Spur mit einem Mal endet!

 

Ein eiskalter Schauer erfasst Mutter und Kind.

Wie kann Etwas enden, wo nichts Neues beginnt?

Welches Wesen hat Macht sich in Luft aufzulösen?

Gehört´s zu den Guten – oder gar zu den Bösen?

 

Der Mutter wird schummrig und Peter ist bang,

da hören sie einen sich nähernden Klang

vom Himmel herab ein Heulen, ein Singen,

so kann sonst nur eine Drehorgel klingen!

 

Da! Da fliegt das Wesen! Was ist es nur?

Und Peter erkennt diese Kreatur!

Sie entstammt nicht seiner Phantasie,

sie ist wahrhaftig echt! Oder ein Werk der Magie?

 

Halb Wolf, halb Vogel, mit Geweih,

halb Hirsch, halb Fisch und Flügel zwei!

Mit bunten Federn und Schuppen klein.

„Mutter! Das muss wohl das Irrtum sein!“

 

Blass zieht die Mutter ihren Sohn zu sich ran

und so starren sie wortlos das Wesen an.

Voll Furcht und von dessen Schönheit gebannt

greifen sie einander des anderen Hand.

 

Der kurze Moment wirkt wie eine Stunde,

dann dreht es am Himmel noch eine Runde

und verschwindet in den Wolkenmassen.

Hat es da grad noch was fallen gelassen?

 

Berauscht noch vom Anblick sind Mutter und Peter

da landet das Wesen gar nicht viel später

tief drin in den Bergen mit einem Mal

am Rand eines Sees im dunkelsten Tal.

 

Dort wartet auch schon sein Muttertier

am Grunde des Sees und es berichtet ihr:

„Ich sah zwei Gestalten, die waren echt komisch,

irgendwie lustig, vor allem anatomisch.

 

Auf zwei Beinen nur, kaum Fell und ganz blass,

wie ein Vogel ohne Flügel, so als fehlte noch was.

Wie ein aufrechter Wurm mit Arm und Bein. Nein,

was ich geseh‘n hab, muss wohl ein Irrtum sein.“

 

„Mein Kind, wie gut deine Beschreibung passt.

Es müssen Menschen sein, die du gesehen hast.

Ich musste auch schon über sie lachen,

sie versuchen alles den Tieren nachzumachen.

 

Sie können weder fliegen, tauchen, noch schnell rennen

obwohl sie sich ‘Krone der Schöpfung‘ nennen.

Wenn Du mich fragst, dann sind sie nur:

… Eine Laune der Natur.“

 

Und Mutter und Peter? Sie sind unterdessen

wieder zu Hause beim Abendessen.

Der Vater fragt: „Was ist euch gescheh‘n?“

„Vater, wir haben das Irrtum geseh‘n!

 

Halb Wolf, halb Vogel und es kann singen

halb Hirsch, halb Fisch und mit zwei Schwingen … “

Der Vater lacht auf und ruft: „Spinnerei!“

Da holt Peter hervor ein goldenes Ei.

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